LETTRE à moi, moi-même et le DAHOMEY

 

Digitale Video-briefe an die Kuratorin und Künstlerin Denise Lasagni
anlässlich der Ausstellung Passant souviens-toi, dit Sœurette
in der Médiathèque des Diasporas Place des Martyrs in Cotonou, Benin, 2017

Qu’est-ce qui moisit dans les archives?
Sur ma, notre peau
une multitude de bactéries roses fleurissent
des millions d’histoires assemblées
pas blanc pas brun pas noir –
désobéissantes aux récits familiaux
en cherchant Sœurette l’alliance libidineuse
compostez, maintes sens symbiotiques
restez vulnérables, dispersé
une sorte d’amour délivré
retour aux histoires, aux floraisons roses
fragments puants dans les archives digitaux
aucun moyen de fusionner dans le calcul
plus que corps. respiration.
Ça démange!

Wie kann man als KünstlerInnen, die ein modernistisch geprägtes westliches Bildungssystem durchlaufen haben, einen Beitrag für eine Ausstellung entwickeln, die vor allem an ein lokales Publikum in Cotonou gerichtet ist?
Benin setzt aktuell, wie viele afrikanische Länder, mit Hilfe der Digitalisierung des Landes auf eine Selbstermächtigung jenseits einer westlich initiierten Entwicklungspolitik. Viele westliche Bildungssysteme wiederum konstituierten in den letzten beiden Dekaden, ermöglicht durch wissenschaftliche und wirtschaftlich geprägte Kooperationen, globalisierte Präsenzen und erzeugen so (weiterhin) problematische, «universalisierte» Vorstellungen von politischer Sichtbarkeit und Verhandelbarkeit, die durch digitale und algorithmische Repräsentationen codiert und formatiert sind.

Wir untersuchen mit diesen experimentellen Videobriefen, wie Technologien und Kommunikationsmedien sich in die techno-imaginären Beziehungen und Affekten zwischen dem sogenannten globalen Süden und dem globalen Norden Infrastrukturen einschreiben. In den drei kurzen, sehr assoziativen Videos werden die visuellen Aspekte von solchen medialen als auch atmosphärischen Infrastrukturen thematisiert. Alltägliche Repräsentationen von verschiedenen Orten Benins, die quasi als ästhetisches Repertoire in Google Maps, in Youtube video clips, in  Afrikanischen Internet TV und in Social Media Kanälen, in privaten Reisedokumentationen und als frei verfügbare 3D Modelle zirkulieren, fungieren in diesen Videos als ornamentale, animierte virtuelle Objekte und Objektassemblagen. Diese thematisieren translokale, mediatisierte Präsenzen von Orten, die meist nicht mehr physisch erfahren werden, mit denen man aber trotz grosser, situierter Ungleichheiten und Divergenzen durch geteilte Imaginationen verbunden ist.

Video 1 untersucht nichterzählte, unterdrückte Geschichten der Geschichte Benins, im Besonderem des früheren Königreichs Dahomey, das aktiv im Sklavenhandel involviert war und in dessen Truppen viele Frauen eingesetzt wurden. Bezugnehmend auf die Kritik an patriarchalen Archiven, formuliert durch Saidiya Hartman, werden im Video weibliche und feministische Aspekte historischer Narrativen, im speziellen die Naturalisierung und das Ornamentwerden der Frauen durch ihr In-Bezug-Setzen zur Landschaft und deren Ökonomien angesprochen. In die, in den Videos verwendeten, digitalen Repräsentationen, haben sich zusätzlich zeitgenössische Bias durch die Programmierer und Gestalter, in Form ihrer Erotisierungen, Exotisierungen und Diskriminierungen eingeschrieben. Wie vielschichtig codiert diese Prozesse sind, zeigt das 3D Modell der Blume African Daisy, eine afrikanische Pflanze, die als Gerbera weltweit kultiviert wurde. Während sich in den  Pflanzentaxonomien die Darstellungen mit libidinöse Sehnsüchte vermischten, sind heute African Daisy eher von ökonomischen Interesse, da sie durch ihr hyperakkumulierendes Vermögen in Phytomining Prozesse (von Gold) eingesetzt werden und so neue Formen von Rohstoff-Extraktionen ermöglichen.

Video 2 bezieht sich auf die objektorientierte Historisierung von Dahomey in der eurozentrischen Kulturanthropologie, die den zivilisatorischen Wert einer Gesellschaft an der ästhetischen Entwicklung ihrer Kunst- und Gebrauchsobjekte festmacht. Die Fetischisierung ihrer Repräsentationen (Masken, Bronzen, Schmuck und Ritualobjekte) durch die Musealisierung, Archivierung und Dokumentation unterstützen westliche Imaginationen von «primitiven» unverdorbener Vorstufen der Zivilisation. Obwohl sich vieles nicht dem Dogma der Dokumentalität und digitalen Reproduzierbarkeit unterwerfen lasst, versuchten westlich-geprägte Interessen mit ihren  Abbildungs- und Modellierungstechnologien lange zu definieren, was sich geschichtlich, kulturelle und politisch einschreiben soll.

Video 3 spielt das erste afroamerikanische Musical am Broadway, In Dahomey, an, welches 1903 uraufgeführt wurde und eine sehr erfolgreich Produktion wurde. Das Komiker Duo Walker und Williams führen innerhalb einer Detektivgeschichte durch das Musical, die die Protagonisten von Boston nach Dahomey transponiert, um dort in Erbschaftsangelegenheiten zu recherchieren. Dabei gelangt einer der beiden unverhofft zu Reichtum, wodurch die beiden erwägen, eine „Re-kolonialisierung“ ehemaliger Sklaven nach Afrika zu initiieren. Obwohl der Plot vollkommen fiktional ist und die beteiligten Schreiber, Komponisten und Darsteller ihr Unwissenheit über den afrikanischen Kontinent betonen, werden hier Imaginationen zu Landschaften thematisiert, die als Sehnsuchtsorte dienen. Auch wenn die Geschichte(n) von Dahomey im Musical nicht «erzählt» werden können, «bleibt» die lustbetonte kritische Fabulation als narrative Methode, um unerwartete Anschlüsse für kommende, verantwortungsvolle kosmopolitische Begegnungen und Auseinandersetzungen zu eröffnen.